“Wir werden nur vier Leute sein. Aber eine Minute später sind wir vierhundert, viertausend, vier Millionen. Wir werden das alte Europa zerstören. Und ein neues errichten.
ALARM!
(Allarmi!)
von
EMANUELE ALDROVANDI
Deutsch von Sabine Heymann
Mind. 6 Darsteller (Mehrfachbesetzung) / variable Dek.
UA 5. Oktober 2016 Teatro Arena del Sole Bologna
DSE 24. September 2021 Theater Regensburg
Eine Gruppe von Terroristen der extremen Rechten organisiert ein Attentat, mit dem das politische System Europas umgestürzt werden soll. Die Demokratie als Staatsform lehnen sie ab, sie hassen Immigranten und wollen in Europa eine Diktatur aufbauen. Sie verbreiten ihre Ideen, suchen Mitstreiter über das Netzwerk und bereiten sich physisch auf die Revolution vor. Versucht wird auch, ihnen die richtige „Haltung“ beizubringen: keine Angst vor dem Feind, keine Angst vor dem Töten, keine Angst vor dem Tod.
Anführerin der Gruppe ist Viktoria, eine charismatische, sehr willensstarke und durchsetzungsfähige junge Frau, die mit ihrer Gruppe den Lauf der Geschichte herumreißen und damit ihren Namen in der Geschichte für immer verewigen will. Getötet werden soll der „Präsident der Europäischen Union“ (ein fiktiver Präsident), der Mordanschlag soll als Live Stream verbreitet werden und dadurch eine Revolution in Europa auslösen.
Ein scharfes und ironisches Werk, das dem Betrachter die Freiheit lassen will, selbst zu reflektieren und zu entscheiden, wen er verurteilen oder retten will. Die Akteure bewegen sich in mehreren Rollen durch ein Spiel des schnellen Wandels und überschreiten so die Grenzen zwischen den verschiedenen Ebenen der Geschichte, der theatralischen Fiktion und ihrem Hintergrund.
„Ich habe mich oft gefragt, wo die Grenze zwischen einem Mythomanen und einem revolutionären Helden verläuft. Was die Meinung anderer – und die Geschichte – betrifft, so kann die Antwort ganz einfach sein: Das Urteil hängt einerseits vom Ergebnis der revolutionären Aktion und andererseits vom Wert der Ideen ab, für die man gekämpft hat; natürlich nicht in einem absoluten Sinne, sondern im historischen/sozialen Kontext.
Aber aus der Sicht des Einzelnen ist dieser äußere Blick – in gewisser Weise „historisierend“ – unmöglich zu erhalten. Ein Revolutionär wird nie sicher sein, dass er kein Mythomane ist. Und ein Mythomane wird immer in der Überzeugung – oder Hoffnung – handeln, ein Revolutionär zu sein. Jeder Einzelne, als „Subjekt“ seines Lebens, kann sich nicht losgelöst als „Objekt“ betrachten, das historisch beurteilt werden kann und deshalb im Gleichgewicht ist. Ich habe versucht, mich diesem Zustand zu stellen, und ich habe es so weit wie möglich getan, ohne Urteile zu fällen, nicht weil es historisch nicht wichtig ist, sie zu fällen, sondern weil mich gerade die Schwierigkeit interessierte, die ein Individuum hat, sich selbst zu beurteilen, unabhängig von seinen Überzeugungen und Handlungen – sogar so extrem wie im Falle von Victoria -, die er zu auszuführen beabsichtigt.“
– Emanuele Aldrovandi –
Die Kritik zur DSE 2021:
„Das Theater am Haidplatz zeigt mit „Alarm“ einen rasanten wie überwältigenden Kommentar zu terroristischen Bedrohungen. Diese Inszenierung ist ebenso beklemmend wie turbulent. Denn das Stück „Alarm“, das Emanue-le Aldrovandi schon 2015 geschrieben hat, es ist ein erschreckend aktuell anmutender Weckruf. […] Die vom Wiener Gregor Turecek furios in Szene gesetzte 90-Minuten-Inszenierung ist rasant, atemberaubend, bildstark und überwältigend. [..] Der Rechtsstaat, sagte einst Verfassungsrichter Böckenförde, leidet unter einem Dilemma: Er kann die Voraussetzungen, auf denen er gründet, nicht garantieren. „Alarm“ aber ist ein solcher notwendiger, weil Licht ins Dunkel bringender Stabilitätsanker.“ (Mittelbayerische Zeitung)
„Der italienische Autor Emanuele Aldrovandi hat genau hineingeleuchtet in die Denkwelt dieser radikalen Rechten, die von einer nationalen Revolution träumen, und ihre seit geraumer Zeit deutlich verfeinerten Techniken, Anhängerschaft zu gewinnen. […] Alles in allem: eine äußerst unbequeme Recherche. Aber wo steht geschrieben, dass es im Theater immer bequem sein muss?“ (Regensburger Zeitung)
„Das Stück entlarvt nicht nur die Verführungsstrategien der Nazis, sondern auch ihre Ästhetik. Trotzdem ist es nicht leicht, sich vom Theatersessel aus, ein einfaches moralisches Urteil zu bilden. „Alarm!“ lässt einen erschüttert ,überwältig, aber auch ein wenig ratlos zurück. Man denkt noch lange über die Inszenierung nach.“ (Donaukurier)
„Ein Stück über rechtsextreme Radikalisierungsdynamiken, das leider kaum aktueller sein könnte. […] In einem rasanten Spiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit wird die gefährliche Dynamik der Bewegung spürbar. Doch das Stück überlässt den Radikalen nicht die Bühne. […] Dem italienischen Autor Emanuele Aldrovandi gelingt mit ALARM! ein scharfkantiges Stück, das sein Publikum lustvoll und klug in die moralische Mangel nimmt. Was gilt es zu verurteilen und was zu verteidigen?“ (DerKultur.Blog)
Die Kritik zur italienische UA:
„Allarmi! zeigt die Stärke eines jungen Theaters, das das Publikum mit Ironie einbezieht und lädt ihn ein, aktuelle Themen zu reflektieren.“ (teatro.it)
„Emanuelle Aldrovandi, eine aufstrebende, aber bereits preisgekrönte Feder unserer Theaterszene , sowie ein sehr seltenes Beispiel für einen italienischen Dramatiker, der seinen Wert schon lange vor dem dritten Lebensalter bewiesen hat. […] ALLARMI! ist ein Karussell, in dem der Geist schon vor dem Körper tanzt und schüttelt.“ (Krapp’s Last Post)
Fotos © Jochen Quast